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Praxisbeispiel Dortmund

„Ich will etwas erreichen“ – Förderung der Umschulung eines Geflüchteten zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik bei der Dortmunder Jürgen Stock Sanitär- u. Heizungsbau GmbH

„Ich habe meine Umschulung am 01.08.2018 angefangen und arbeite jetzt seit dem 1. Februar 2021 als Geselle“, sagt Mustafa Mouradi in gutem Deutsch. Dass er einmal erfolgreich eine Umschulung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (SHK) bei der Dortmunder Jürgen Stock Sanitär- u. Heizungsbau GmbH absolvieren würde, war im Jahr 2010 noch nicht absehbar. Damals flüchtete der zu dieser Zeit 20-Jährige allein aus Afghanistan nach Europa und wollte eigentlich nach Dänemark, wurde aber kurz vor der Grenze in Deutschland aufgegriffen. Es folgte eine schwere Zeit: Wohnen auf engstem Raum in einer Erstaufnahmeeinrichtung, zunächst schlechte Aussichten auf eine Aufenthaltsgenehmigung. Aber Mustafa Mouradi nutzte auch die ihm offenstehenden Chancen, machte einen Integrationskurs und besuchte die Abendrealschule. Und er lernte die für ihn fremde Sprache sehr schnell, arbeitete zwischen 2015 und 2017 sogar zwei Jahre in einer Dortmunder Erstaufnahmeeinrichtung als Dolmetscher und Sozialbetreuer und wies anschließend in einem weiteren Sprachkurs das Sprachniveau B2 nach. Belastet wurde sein Aufenthalt in Deutschland die gesamte Zeit über durch den unklaren Aufenthaltsstatus. Mustafa Mouradi erhielt immer nur Visa für eine begrenzte Zeit, musste sogar mit Abschiebung rechnen. Erst als er einen Ausbildungsvertrag vorweisen konnte, besserte sich die Situation. Jetzt konnte er endlich den Antrag auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung stellen. Das war aber nicht die einzige Motivation für seine Umschulung: „Ich habe gemerkt: ich brauche eine Ausbildung, denn ohne eine Qualifikation bleibt nur die Arbeit als Helfer – das wollte ich nicht, ich will etwas erreichen“, sagt Mustafa Mouradi.

Einen großen Anteil daran, dass das am Ende funktioniert hat, hat Anja Pachura. Sie ist bereits seit 15 Jahren Arbeitsvermittlerin beim Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit Dortmund. Seit gut sieben Jahren betreut sie den Bereich Bau und Handwerk. Schon das Förderprogramm WeGebAU, mit dem die Agentur für Arbeit seit 2006 die Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter Älterer in Unternehmen förderte, spielte in ihren Beratungen eine große Rolle. Seit 2019 ist das ähnlich mit dem Nachfolgeinstrument, der Förderung nach dem Qualifizierungschancengesetz (QCG). „Ich spreche das Thema QCG im Tagesgeschäft in Beratungsgesprächen mit Unternehmen immer an, identifiziere gemeinsam mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern geeignete Beschäftigte und gebe Hinweise, was möglich ist. Es gibt ja nicht nur berufliche Qualifizierungen, sondern auch Anpassungsqualifizierungen wie etwa Computer- oder Englischkurse und Führerscheine.“

Durch ihre lange Tätigkeit in diesem Bereich kennen viele Unternehmerinnen und Unternehmer Anja Pachura auch persönlich und rufen sie gezielt an, wenn zum Beispiel die Qualifizierung einer Hilfskraft geplant ist. Oft kommt das QCG ins Spiel, wenn der Stellenvermittlungsprozess auf der Stelle tritt. „Es gibt kaum noch die idealtypischen Kandidaten für freie Fachkräftestellen“, sagt Anja Pachura dazu. „Gerade Handwerksunternehmen müssen heute verstärkt auf Ausbildung oder auf die Qualifizierung von Ungelernten setzen, damit sie ihren Fachkräftebedarf decken können. Wenn sich die gewünschte Fachkraft trotz aller Bemühungen beim Unternehmen nicht bewirbt und die Möglichkeiten der Stellenvermittlung ausgeschöpft sind, versuchen wir – oft auch schon parallel – eine geeignete Hilfskraft zu finden, die motiviert ist, eine betriebliche Einzelumschulung zu machen.“

Wie bei Mustafa Mouradi ist diese bei einer Förderung über das QCG um ein Drittel verkürzt, im Bereich Anlagenmechaniker SHK auf 28 Monate. Das ergibt für die Hilfskraft neben der Zeitersparnis doppelt Sinn, weil sie gleichzeitig weiter den vollen Helferlohn bezieht, der im Normalfall wesentlich höher ist als eine Ausbildungsvergütung. „Wir als Agentur gleichen den Ausfall, der für den Arbeitgeber durch die Berufsschul- und andere Ausfallzeiten entsteht, über einen Arbeitsentgeltzuschuss aus“, erklärt Anja Pachura. Bei Geringqualifizierten kann dieser Zuschuss nach individueller Prüfung bis zu 100 Prozent betragen. Darüber hinaus sind über das QCG viele weitere Hilfen möglich, von der Arbeitskleidung über Fahrtkosten bis zu Lernmitteln. Rund 200 Qualifizierungen von Beschäftigten fördert die Agentur für Arbeit in Dortmund jährlich. Davon sind 140 abschlussorientiert und 60 Anpassungsqualifizierungen.

Der Kontakt von Anja Pachura zur Firma Jürgen Stock Sanitär- und Heizungsbau kam zustande, als Nils Wagner den Betrieb im Jahr 2018 als junger Meister übernommen hatte und auf der Suche nach Fachkräften war. Der heute 31-Jährige wollte die Firma, die zu diesem Zeitpunkt drei Beschäftigte hatte, weiterentwickeln: innovative Heiztechnik, Nutzung regenerativer Energien – aus dem kleinen „Dorfbetrieb“ in Dortmund-Sölde sollte ein modernes Unternehmen werden. Dazu brauchte es Fachkräfte. Er schaltete Werbung, bildete verstärkt aus und wandte sich an die Agentur für Arbeit. Nachdem diese dann eine neue Kraft mit einer betrieblichen Eingliederungshilfe erfolgreich an das Unternehmen vermitteln konnte, riss die Verbindung nicht mehr ab. Als Anja Pachura per Vermittlungsvorschlag Mustafa Mouradi zum Unternehmen von Nils Wagner schickte, war der nach einem Vorstellungsgespräch vom Potenzial des Geflüchteten sofort überzeugt. Nils Wagner fragte bei der Agentur für Arbeit an, ob man ihn nicht zur Fachkraft qualifizieren könne und erfuhr: ein klarer Fall für eine Förderung nach dem Paragraphen 81 Absatz 2 des SGB III. Nils Wagner stellte Mustafa Mouradi sofort als Montagehelfer ein, ab August 2018 startete dann die geförderte Umschulung. Als anerkannter Ausbildungsbetrieb konnte die Jürgen Stock Sanitär- und Heizungsbau GmbH die Qualifizierung von Mustafa Mouradi als betriebliche Einzelumschulung selbst durchführen. Mustafa Mouradi stieg direkt ins zweite Lehrjahr ein. Die Kosten der Ausbildung, also zum Beispiel für überbetriebliche Lehrgänge oder Prüfungsgebühren wurden zu 100 Prozent durch die QCG-Förderung übernommen. Nils Wagner erhielt darüber hinaus für die 28 Monate der Umschulung einen pauschalen Arbeitsentgeltzuschuss von 50 Prozent (brutto).

„Ich hatte als jemand, der gerade ein halbes Jahr selbstständig war, von dieser Förderung noch nie gehört und war überrascht, dass es solche Konzepte gibt“, sagt Nils Wagner. Mittlerweile beschäftige er einige Quereinsteiger, die er über die bestehenden Fördermöglichkeiten für seinen Bedarf weiterqualifiziere. „Wenn Frau Pachura mir wieder eine Person mit Fluchthintergrund empfehlen würde, würde ich sofort wieder darauf eingehen“, sagt Nils Wagner. „Da ist so etwas wie eine vertrauensvolle Geschäftsbeziehung entstanden.“ Und Anja Pachura ist froh, dass sie mit dem QCG über das passende Instrument verfügt: „Das ist eine hervorragende Förderung und große Chance sowohl für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber als auch für Beschäftigte, besonders für Geringqualifizierte. Sie wirkt dem Fachkräftemangel entgegen und dient auch der Beschäftigtensicherung. Wir haben so gute Möglichkeiten, aber das ist leider noch zu wenig bekannt – auch bei den potenziellen Fachkräften selbst, die oft glauben, eine Ausbildung komme für sie in fortgeschrittenem Alter nicht mehr in Frage.“ Bedenken, dass Beschäftigte über 40 Jahre für eine Umschulung zu alt sein könnten, teilt Anja Pachura nicht. „Eine Umschulung mit 45 oder 50? Natürlich, warum nicht? Der Mensch arbeitet ja noch mindestens 15 oder 20 Jahre!“

Mustafa Mouradi ist schon über zehn Jahre in Deutschland, aber auch die Geflüchteten, die 2015 oder 2016 ins Land kamen, kommen langsam auf dem ersten Arbeitsmarkt an. „Sie sind jetzt oft soweit, dass wir sie als Fachkräfte qualifizieren können“, stellt Anja Pachura fest. Wie bei Mustafa Mouradi auch spielen die umschulungsbegleitenden Hilfen (ubH, nach § 131a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB III), die die Agentur für Arbeit bei betrieblichen Einzelumschulungen zusätzlich gewähren kann, bei diesem Personenkreis eine große Rolle. „Die Menschen sind sprachlich zwar soweit, dass sie eine Umschulung machen können, mit dem theoretischen Unterricht haben aber doch viele Schwierigkeiten. Das ist schon eine Herausforderung“, erklärt Anja Pachura. Dazu kommt, dass die Menschen direkt ins zweite Lehrjahr einsteigen, also einiger Stoff und handwerkliche Fähigkeiten nachzuholen sind. Sie besuchen eine ganz normale Berufsschulklasse, die die „normalen“ Auszubildenden im Rahmen der dualen Ausbildung auch besuchen. „Der Lehrer wartet nicht, bis der Geflüchtete alles verstanden hat. Deshalb war die Nachhilfe wichtig für mich“, sagt Mustafa Mouradi.

Die ubH bestehen zum Beispiel aus zwei Nachhilfeterminen in der Woche. Neben Nachhilfeunterricht für die jeweiligen Berufsschulfächer kann auch die Vorbereitung auf die Zwischen- und Abschlussprüfung oder die Betreuung des Lernprozesses beziehungsweise allgemeines Coaching Inhalt einer ubH sein.

Es mag für Geflüchtete schwierig sein, dem Berufsschulunterricht zu folgen, „dafür haben die Teilnehmenden, die über 25 sein müssen, dann aber schon eine gewisse Lebenserfahrung und können Informationen ganz anders verarbeiten als zum Beispiel ein 16-Jähriger“, sagt Anja Pachura.

Das zeigte sich auch bei Mustafa Mouradi. Den Stoff des ersten Lehrjahres hatte er schnell aufgeholt. „Er war sehr motiviert und fachlich war es immer sehr einfach mit ihm“, sagt sein Chef. „Ich brauchte ihn nur mit den richtigen Mitarbeitern zusammen arbeiten zu lassen.“

Nils Wagners Sanitär-Unternehmen ist in den letzten drei Jahren rasant expandiert, hat mittlerweile 30 Beschäftigte, „da ist Weiterbildung ein immens wichtiges Thema“, sagt der junge Chef. „Für mich sowieso – ich bin ständig in Schulungen – aber auch für die Personen im Betrieb, von denen ich glaube, dass sie das schaffen.“ Dazu gehört auch Mustafa Mouradi. Er hat zwar erst seit Januar 2021 seinen Gesellenbrief in der Tasche, aber Nils Wagner hat weitere Pläne mit ihm. Die erste Zusatzqualifikation hat Mustafa Mouradi schon absolviert. Er spezialisiert sich auf den Bereich Kältetechnik, den sich das Sanitärunternehmen gerade erschließt. „Es geht darum, Herrn Mouradi zum Vorarbeiter zu entwickeln und den neuen Branchenbereich gemeinsam mit ihm aufzubauen“, so Nils Wagner. Gute Karriereaussichten also für Mustafa Mouradi, der seine aktuelle Gefühlslage so beschreibt: „Es gibt gerade keinen glücklicheren Menschen als mich. Dass ich in solch einer Firma und mit einem solchen Chef arbeiten darf, das macht mich absolut zufrieden. Für das, was ich hier in drei Jahren erreicht habe, haben sich die ganzen schwierigen Jahre vorher gelohnt. Deutschland ist meine zweite Heimat, weil ich hier meine Freiheit, meinen Frieden und meine Sicherheit habe. Ich sehe meine Zukunft jetzt hier.“

 

Kontakte

Anja Pachura
Arbeitsvermittlerin im Arbeitgeberservice
der Agentur für Arbeit Dortmund
Tel.: 0231 842 2153



Nils Wagner
Geschäftsführer und Gesellschafter der Jürgen Stock Sanitär- und Heizungsbau GmbH
Tel.: 0231 400031

Ansprechperson in der G.I.B.

Julian Agel
Tel.: 02041 767311
J.agel@gib.nrw.de

Autor

Frank Stefan Krupop
Tel.: 02306 741093
Frank_krupop@web.de

 

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